“Schöne Momente sind für mich, wenn ich weiß, dass ich als Insoweit erfahrene Fachkraft helfen konnte.” Iwona Hoffmann ist „Insoweit erfahrene Fachkraft“ (kurz: IseF) und Kita-Leitung des Freinet-Haus, Entdeckerland in der Richard-Münch-Str. 1-3 in Berlin Spandau. Im Gespräch mit Felicitas Pannwitz, Personalreferentin bei Kindertagesstätten Nordwest, erzählt sie von ihren Beweggründen für die Weiterbildung zur IseF, den Aufgaben, die sie dadurch übernimmt, sowie den damit verbundenen Herausforderungen und persönlichen Erfolgsmomenten.

Aufgaben der "Insoweit erfahrenen Fachkraft"

Was genau bedeutet es, eine "Insoweit erfahrene Fachkraft" zu sein und was ist der Unterschied zu der alltäglichen Arbeit als Kita-Leitung? 

Eine insoweit erfahrene Fachkraft berät pädagogische Fachkräfte, Kita-Teams oder Leitungen zu allen Themen rund um den Kinderschutz.

Wenn Kollegen (m/w/d) in ihrer Einrichtung Auffälligkeiten bei einem Kind bemerken, ein ungutes Gefühl im Kontakt mit der Familie haben oder einfach unsicher sind, wie sie mit einer Situation umgehen sollen, bin ich als "IseF" für sie da. Es wird gemeinsam geschaut, welche Hilfsmöglichkeiten installiert werden können, sprich wie dem Kind und/ oder der Familie konkret geholfen werden kann. 

Die Aufgaben als Kita-Leitung sind bereits umfangreich. Die Tätigkeit als "IseF" kommt zusätzlich hinzu und erfordert eine spezielle Qualifikation.

Hat eine Kollegin oder ein Kollege ein Anliegen, kann sich die Person die "Insoweit erfahrene Fachkraft" aussuchen, die sie kontaktieren möchte? Sind sie also nicht nur für bestimmte Kitas zuständig? 

Wir sind einrichtungsübergreifend für den Träger in der Funktion. Es gibt im Eigenbetrieb mehrere "Insoweit erfahrene Fachkräfte" - auf Regionalleitungs- und auf Kita-Leitungsebene sowie in allen Bezirken. Die Kollegen (m/w/d) können unabhängig vom Bezirk die Fachkraft ihrer Wahl kontaktieren. 

In der Zusammenarbeit ist sowohl die zwischenmenschliche Kommunikation als auch die Chemie sehr wichtig. Mit einer Person komme ich besser zurecht, mit einer vielleicht weniger. Vielleicht möchte der Kollege (m/w/d) auch jemanden zur Unterstützung haben, der*die ihn*sie überhaupt nicht kennt, um eine gewisse Anonymität zu behalten. Wieder andere wenden sich lieber an eine Person, die sie schon seit Jahren kennen und zu der sie Vertrauen haben. Das ist absolut freigestellt. 

Wir beraten dann zu allen Fragestellungen im Kinderschutz und hören uns an, wo die Person derzeit Bauchschmerzen hat.

Sind Sie auch Ansprechpartnerin für die Eltern? 

Grundsätzlich ist es meine Aufgabe, die pädagogischen Fachkräfte zu unterstützen. Im Rahmen eines Kinderschutzverfahrens sind Elterngespräche geplant. Ich kann bei der Vorbereitung eines Elterngesprächs helfen oder begleite das Gespräch, wenn das gewünscht ist.

Die Kernaufgabe von insoweit erfahrenen Fachkräften ist es also, pädagogische Fachkräfte, Kita-Leitungen oder auch ganze Teams im Kinderschutz zu unterstützen. Sind Sie hierbei nur im Hintergrund beratend tätig oder handeln Sie auch, wenn eine konkrete Kindeswohlgefährdung bekannt wird?

Eine "Insoweit erfahrene Fachkraft" agiert nur im Hintergrund. Ein Kinderschutzverfahren eröffnet der Kollege (m/w/d), die oder der auch direkt involviert ist, und ist dann auch verantwortlich dafür, den gesamten Verlauf zu begleiten und durchzuführen.

Wann wird eine "Insoweit erfahrene Fachkraft" hinzugezogen?

Immer dann, wenn jemand nicht mehr weiter weiß oder Hilfe braucht. In bestimmten Situationen – etwa bei einer geplanten Meldung gemäß § 8a SGB VIII an das Jugendamt – ist eine Beratung durch eine "Insoweit erfahrene Fachkraft" zwingend erforderlich. Die Meldung selbst muss die pädagogische Fachkraft durchführen. Im aktuellen Kinderschutzordner sind verschiedene Verfahrensabläufe dargestellt. Jede pädagogische Fachkraft kann daraus entnehmen, an welcher Stelle es erforderlich ist, die "IseF" zur Beratung hinzuziehen.

Wie häufig kommt es vor, dass sich jemand hilfesuchend an Sie wendet? 

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt ruhige Phasen und es gibt Zeiten, in denen ich sehr oft kontaktiert werde.

Die Beratung kann sowohl telefonisch als auch in der Kita stattfinden, wenn ein persönliches Gespräch erforderlich ist. Kürzlich habe ich zum Beispiel eine Fachkraft bei einem Gespräch mit betroffenen Kindern begleitet. In diesem Fall ging es um ein übergriffiges Verhalten unter Kindern – das musste kindgerecht aufgearbeitet werden. Die Person hat sich unsicher gefühlt und wusste nicht, welche Fragen passend sind oder wie ein guter Einstieg gelingen kann.

Ausbildung zur "Insoweit erfahrenen Fachkraft"

Seit wann sind Sie eigentlich "Insoweit erfahrene Fachkraft"?

Ich habe diese Qualifizierung, die vom Träger finanziert wurde, Anfang 2024 erfolgreich abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits mehrere Kinderschutzfälle in der Kita und wollte mich tiefer mit dem Thema auseinandersetzen.

Was hat Sie bewogen, eine Weiterbildung zur "Insoweit erfahrenen Fachkraft" zu machen?

Jede Kita-Leitung kommt früher oder später mit Kinderschutzthemen in Berührung – ob vorbereitet oder nicht. Ich wollte nicht nur geschult sein, sondern tiefes Wissen erwerben um Kollegen (m/w/d) beraten zu können. Die Kurzschulungen von drei Tagen, die zum Beispiel der Deutsche Kinderschutzbund anbietet, reichten mir nicht aus.

Die Kinder, die Eltern und die Kinderschutzfälle, die ich in der Kita hatte, haben mich dazu bewegt, dass nicht weggeschaut werden darf. Es ist mir auch wichtig, das Thema Kinderschutz auf Trägerebene zu verankern und weiterzuentwickeln.

Wie lange hat die Ausbildung zur "Insoweit erfahrenen Fachkraft" gedauert?

Insgesamt dauert diese Weiterbildung sieben Monate. Erst nach dem Erhalt des Zertifikats darf ich mich offiziell "Insoweit erfahrene Fachkraft" nennen. 

Die Zusatzqualifikation wird vom Träger finanziert und findet dann wahrscheinlich auch im Rahmen der Arbeitszeit statt?

Genau. Damals war es so, dass es einen Aufruf beim Träger gab und im Rahmen einer Leitungsrunde besprochen wurde. Es wurden noch Menschen gesucht, die sich für die Qualifikation als "Insoweit erfahrene Fachkraft" interessieren und sich ausbilden lassen wollen. Ich habe mich damals einfach beworben. 

Wer kann sich auf die Zusatzqualifikation zur "Insoweit erfahrenen Fachkraft" bewerben?

Bei Kita Nordwest können pädagogische Leitungskräfte Interesse an dieser Zusatzqualifikation äußern, das heißt aktuell Kita-Leitungen und Regionalleitungen. Bis jetzt gib es keine pädagogischen Fachkräfte die als IseF ausgebildet sind.  

Neben den normalen Aufgaben einer Kita-Leitung sind das ja nochmal ganz schöne Zusatzaufgaben. Wie funktioniert das im Kita-Alltag?

Jede Kita, in der eine "Insoweit erfahrene Fachkraft" arbeitet, bekommt eine 0,25 Stelle zusätzlich zu ihrem normalen Personalschlüssel dazu gerechnet, damit diese zusätzlichen Aufgaben bewältigt werden können. Das heißt aber auch, dass die Kollegen (m/w/d) im Haus manchmal einspringen und ausgleichen müssen, wenn ich mal einen halben Tag nicht da bin.

Gibt es gesetzliche Vorgaben, wie viele "Insoweit erfahrene Fachkräfte" es im Träger geben muss? 

Nein, die gibt es nicht.

Allerdings führen wir aktuell Dokumentationen und erfassen in unserer Kinderschutzfachgruppe, wie viele Aufgaben "Insoweit erfahrene Fachkräfte" zusätzlich zu ihrer täglichen Arbeit erledigen. Kristin Ander ist seit Anfang 2024 die Fachberatung für alle Themen rund um den Kinderschutz bei Kita Nordwest. Sie steuert alle Maßnahmen und verschafft sich derzeit einen Überblick darüber, wann welcher Fall bearbeitet und wie viel Zeit dafür investiert wurde. Damit soll erfasst werden, ob die derzeitige Anzahl an "Insoweit erfahrenen Fachkräfte" für unseren Träger ausreicht oder ob mehr gebraucht werden. 

Erfahrungen und Perspektiven als "Insoweit erfahrene Fachkraft"

Was raten Sie Kollegen (m/w/d), die mit dem Gedanken spielen, diese Zusatzqualifikation zu absolvieren? Gibt es bestimmte Situationen, in denen Sie davon abraten würden? 

Ob eine solche Zusatzausbildung in Frage kommt, muss natürlich jeder Kollege (m/w/d) für sich abwägen. Jeder Mensch hat seine eigenen Ressourcen. 

Man sollte sich im Klaren sein, dass man mit vielen belastenden Themen konfrontiert wird und sich emotional abgrenzen können muss.

IseF bearbeiten deutlich mehr Fälle als Kita-Leitungen, die nur ihre eigene Einrichtung betreuen. Aber gleichzeitig hilft die professionelle Distanz: Ich kenne das Kind und die Familien in der Regel nicht persönlich – das erleichtert einen sachlichen Blick.

Was hat sich in den letzten Jahren im Kita-Alltag verändert?

Kinderschutz hat deutlich an Bedeutung gewonnen. Früher war es gesellschaftlich akzeptiert, Kinder zu schlagen – solche Prägungen wirken bis heute nach. Ich erkenne noch Kinder, die mit dieser Prägung aufwachsen – die sich nicht trauen, eigene Entscheidungen zu treffen, die gehorchen müssen. Wenn sie nicht „funktionieren“, werden sie bestraft oder schlecht behandelt.

Dieses enge Vertrauen passt ja auch gut zur Freinet-Pädagogik.

Genau, wir setzen im Freinet-Haus auf die Freiheit der Kinder – sie hat einen hohen Stellenwert. 

Bei uns geht es darum, Nein zu sagen, respektvoll miteinander umzugehen und die Selbstständigkeit der Kinder zu fördern. Wir merken deutlich, wie selbstbewusst und eigenverantwortlich unsere Kinder werden. Das bestätigen uns auch die Schulen, mit denen wir kooperieren. Sie merken, dass die Kinder aus dem Freinet-Haus kommen, weil sie wissen, was es bedeutet, Nein zu sagen, und weil sie die Grenzen anderer respektieren können. Die Kinder wissen, wie man Konflikte löst und dass sie selbst Verantwortung übernehmen müssen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Kinder, die mit der Freinet-Pädagogik aufwachsen, lassen sich Machtspiele in der Regel nicht gefallen. 

Wir stärken nicht nur die Kinder mit dieser besonderen Freinet-Pädagogik, sondern auch ihre Eltern und sensibilisieren sie kontinuierlich für die Themen im Kinderschutz.

Welcher Moment oder welche Herausforderung als "Insoweit erfahrene Fachkraft" bleibt Ihnen besonders in Erinnerung?

Es gibt Kinder, die aus den Familien gerissen werden und die in einer Wohngemeinschaft untergebracht werden müssen, weil die Familie nicht in der Lage ist, sich um das Kind zu kümmern. Das sind Momente, in denen ich mir große Sorgen mache. Manchmal reichen eine oder zwei Situationen aus der Kindheit, die so prägend sind, dass dadurch unterschiedliche Ängste entwickelt werden oder Sorgen, psychische Probleme und Belastungen, mit denen diese Kinder dann ihr ganzes Leben zu kämpfen haben. Darum möchte ich immer, so schnell wie möglich eine Lösung finden. Doch das dauert manchmal Wochen oder Monate, bis überhaupt etwas passiert. Das ist meine Herausforderung. Umso wichtiger ist es, Eltern zu sensibilisieren, wie wichtig dieser Kinderschutzauftrag ist – auf allen Ebenen. 

Schöne Momente sind für mich, wenn ich weiß, dass ich als "Insoweit erfahrene Fachkraft" helfen konnte. Wenn Menschen aufmerksam sind und ein Kinderschutzfall entdeckt wird, bin ich immer wieder dankbar. Das bedeutet für mich, dass die Menschen nicht wegschauen, sondern sensibilisiert sind und sich um das Kind sorgen. Jeder entdeckte Fall bedeutet, dass einem weiteren Kind geholfen werden kann. Das ist schön.

Welche Fragen begegnen Ihnen immer wieder als "Insoweit erfahrene Fachkraft" von den pädagogischen Fachkräften oder auch von den Eltern?

Auf der Elternebene ist ein Thema sehr präsent: Es entstehen Ängste bei den Eltern, wenn sich die Sexualität des eigenen Kindes entwickelt. Wir als pädagogische Fachkräfte sind geschult in dem Thema. Wir wissen, dass kindliche Sexualität nichts mit erwachsener Sexualität zu tun hat. Eltern haben dieses Wissen nicht und schauen aus den Augen von Erwachsenen. Auch ist das Thema Sexualität sehr tabuisiert. Darum sollten solche Themen aufgegriffen werden, um die Eltern aufzuklären.

Bei den Fachkräften ist die Angst vor falschen Beschuldigungen aktuell sehr präsent. Ich finde es gut, dass wir auf Trägerebene schon Verfahrensabläufe für solche Situationen erarbeitet haben. Ich wünsche mir allerdings noch einen stärkeren Fokus auf Maßnahmen zur Rehabilitation der Kollegen (m/w/d). Es reicht nicht aus, dass der Träger einen Brief schreibt, dass der Kollege (m/w/d) vollständig rehabilitiert ist, dass die Vorwürfe erledigt sind und nun alles wieder in Ordnung ist. Das ist zu wenig. Menschen, die diesen falschen Behauptungen oder falschen Anschuldigungen ausgesetzt waren, brauchen intensive Begleitung und Unterstützung, um das für sich zu verarbeiten, zu verstehen und lernen, damit umzugehen.

Trotzdem gilt: Jede Aussage eines Kindes muss ernst genommen werden. Nur wenn Kinder wissen, dass man ihnen glaubt, öffnen sie sich, auch bei schlechten Geheimnissen. 

Die meisten Fälle entstehen durch Überforderung. Mehr Transparenz im Beziehungsdreieck Eltern – Kind – Kita/Träger erleichtert es, Aussagen nachzugehen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Fachkräften und Leitung ist darum entscheidend. Flache Hierarchien und eine gut aufgeklärte, transparente Kommunikation im Team helfen, Kinderschutzfälle schnell zu bearbeiten und aufzulösen, sodass Kollegen (m/w/d) Vorfälle nicht lange mit sich tragen.

Kinderschutz in Kitas: Mut, Vernetzung und die Rolle der jungen Generation

Liegt Ihnen denn noch etwas auf dem Herzen?

Ich wünsche mir, dass jeder, der dieses Interview liest, die Botschaft mitnimmt, dass Kinderschutzfälle nicht als etwas Negatives oder ein „schwarzes Loch“ betrachtet werden sollten. Das Schlimmste, was passieren kann, ist Desinteresse – „Interessiert mich nicht, ist nicht meine Kita…“. Es muss andersherum sein.

Ich wünsche mir, dass die Menschen Mut entwickeln, sich damit intensiver auseinanderzusetzen.

Außerdem wäre es enorm wichtig, dass wir in jeder Kita eine pädagogische Fachkraft haben, der Kinderschutzexperte (m/w/d) ist. Auf der Trägerebene haben wir dafür in allen drei Bezirken die Kinderschutz-Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen, an der die Kinderschutzexperten aus jeder Kita teilnehmen. Ich habe auch eine Kinderschutzexpertin in meiner Kita, mit der ich mich zu Kinderschutzthemen austausche und Situationen reflektiere. Sie nimmt auch an Netzwerktreffen teil und bringt neue Impulse mit, was eine Bereicherung fürs Haus ist. Diese Person sollte natürlich auf freiwilliger Basis und ressourcenorientiert arbeiten. Je mehr Vernetzung auf der Trägerebene, desto einfacher wird es, Kinderschutzfälle wahrzunehmen, zu sensibilisieren und zu bearbeiten.

Und ein Punkt, über den wir noch gar nicht gesprochen haben, sind unsere Mitarbeitende in Ausbildung (kurz MiAs). Unsere MiAs sind unvoreingenommen, bringen neues Wissen aus der Schule mit und sind mutig, Hierarchien aufzubrechen. Sie sind eine wichtige Ressource, um Verhalten zu reflektieren. Durch ihre Auseinandersetzung mit dem Kinderschutz in der Schule bringen sie neue Perspektiven mit. Die junge Generation geht selbstverständlicher mit Kinderschutzthemen um und lehnt vieles ab, was früher als normal galt. Wir müssen unseren MiAs Mut machen, sich noch mehr zu öffnen und bedenkliches Verhalten anzusprechen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil von Kita Nordwest. Ja, sie möchten von uns auch noch viel lernen, aber auch wir lernen viel von ihnen.

So viele wertvolle und wichtige Informationen! Frau Hoffmann, ich bedanke mich sehr für Ihre Zeit und diese vielen Einblicke, die Sie uns gewährt haben!

Interview aus dem Frühjahr 2025 in der Kita Freinet-Haus Entdeckerland (Berlin Spandau)